Die vielleicht wildeste Box-Schlacht aller Zeiten (2024)

Dempsey vs. Firpo vor 100 Jahren Die vielleicht wildeste Box-Schlacht aller Zeiten

Von Martin Armbruster 14.09.2023, 20:54 Uhr

Der Boxkampf zwischen Schwergewichts-Weltmeister Jack Dempsey und Angel Luis Firpo am 14. September 1923 in New York ist mehr als ein Schlagabtausch. Es ist auch ein Fest für alle Voyeure roher Gewalt - mit einem der dramatischsten Momente der Sportgeschichte.

Wer sich als reger Kneipengänger bezeichnen würde, kennt dieses Bild womöglich schon. Es hängt häufig in der wunderbaren Welt des Tresens. Das hunderttausendfach auf Papier kopierte Ölgemälde "Dempsey and Firpo" (oder auch "Dempsey Through The Ropes") des Künstlers George Bellows hält einen der legendärsten Momente der Boxgeschichte fest. Es zeigt Schwergewichts-Champion Jack Dempsey, der von seinem Herausforderer Angel Luis Firpo aus dem Ring geprügelt wird.

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Dass ein Boxer Kraft der Fäuste seines Gegners den Ring verlässt, ist selten. Ebenso selten ist es, dass bei einem Duell von Schwergewichten beide Kämpfer auf die Bretter gehen. Dempsey vs. Firpo hatte vor 100 Jahren all das zu bieten - und ist deswegen bis heute der wohl spektakulärste Boxkampf der Geschichte.

1923 ist Jack Dempsey seit vier Jahren Weltmeister im Schwergewicht und mit Abstand der größte Star des US-Sports. Sein Kampf gegen den Franzosen Georges Carpentier im Juli 1921 hat als erstes Sportereignis überhaupt eine Million US-Dollar eingespielt. Dempsey ist ganz oben, reich und zwischen den Seilen unantastbar. Wo der "Manassa Mauler" hinlangt, ist danach Wüste.

Die wildesten 237 Sekunden der Boxgeschichte

Einen geeigneten Herausforderer zu finden, ist für die Strippenzieher um Dempseys schlitzohrigen Manager Jack "Doc" Kearns gar nicht so einfach - auch, weil Dempsey sich weigert, gegen Schwarze Boxer zu kämpfen. Wie gut, dass es da diesen "wilden Stier aus der Pampa" gibt: Angel Luis Firpo. Den Mann aus Buenos Aires zeichnen seine langen Arme und Hände wie Bratpfannen aus, mit denen er seine Gegner plattklopft. 21 seiner 25 Siege resultieren durch K.o., das Duell mit Schlägerkönig Dempsey lässt sich also wunderbar vermarkten: "Manassa Mauler" gegen "Pampastier".

Am 14. September strömen 80.000 Menschen in die New Yorker "Polo Grounds" und bescheren den Veranstaltern ein "Live-Gate" an Ticket-Einnahmen von 1,2 Millionen Dollar (von denen Dempsey rund 469.000 Dollar einstreicht). Die Zuschauer werden ihr Kommen nicht bereuen, Dempsey und Firpo lösen den Wert ihrer Eintrittskarten ein.

Als sich die Kämpfer im Ring begegnen, wirkt der 28-jährige Weltmeister ungewohnt scheu. Firpo schaut finster auf seinen fünf Zentimeter kleineren Rivalen herab. Dempsey vermeidet den Blickkontakt mit dem 1,90-Meter-Hünen aus Südamerika. Dann läutet die Glocke die wildesten zwei Runden oder 237 Sekunden der Boxgeschichte mit insgesamt elf Niederschlägen ein.

Bei "9" steht er wieder

Firpo macht sofort klar, kein weiteres hilfloses Dempsey-Opfer zu sein. Der Argentinier will sich kloppen. Eine schwere Rechte Firpos zum Körper entzieht Dempseys Beinen für einen kurzen Moment jeglichen Saft. Der Champ sackt kurz auf die Knie, kann sich aber an Firpo klammern und sogleich wieder in einen Homo Erectus verwandeln.

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Von der Schmach angestachelt, geht Dempsey zum Gegenangriff über, packt seinen patentierten linken Haken aus und streckt Firpo zu Boden. Der Herausforderer steht allerdings sofort wieder, stürmt wütend auf den Titelverteidiger zu. Es entwickelt sich ein echter - Achtung - Schlagabtausch, in dem Dempsey seine überlegene Faustfertigkeit ausspielt und an Firpo sechs (!) weitere Male das Gesetz der Schwergewichts-Schwerkraft anwendet. Jedes Mal aber richtet sich der Mann aus der Pampa auf - und dann schlägt der Stier zu.

Eine lange Rechte trifft Dempsey voll am Kinn, befördert den Amerikaner durch die Seile aus dem Ring. Die Linke, die Firpo hinterher schiebt und die George Bellows festhält, ist gar nicht mehr nötig. Dempsey kracht auf einen Reportertisch, die 80.000-Mann-Meute in New York tobt. Ein paar Journalisten schieben den gefallenen Star zurück auf die Schlachtplatte. Eine laut Regelwerk unerlaubte Hilfe, die im allgemeinen Trubel untergeht. Bei "9" steht Dempsey wieder im Ring, das Spektakel geht weiter. Firpo knallt seinem angeschlagenen Rivalen die nächste Keule an den Schädel, Dempsey antwortet - im Unterbewusstsein kämpfend - mit einer Rechten, die den Gaucho am Herzen trifft. Firpo zuckt vor Schmerz zusammen. Schlussgong Runde 1.

Dempsey sah "acht Millionen Sterne"

"Er ist stark und der härteste Puncher, gegen den ich je angetreten bin. Es war das erste Mal, dass ich zu Boden geschlagen wurde, seit ich Weltmeister bin. Ich habe acht Millionen Sterne gesehen, als ich diesen Schlag ans Kinn bekommen habe, der mich aus dem Ring gehauen hat. Ich habe nicht mal gewusst, dass er mich aus dem Ring gehauen hat, bis ich zwischen den Runden auf dem Stuhl saß. Ich dachte, ich wäre ausgeknockt worden", kommentiert Dempsey nach dem Kampf die geschichtsträchtige Szene. 1950 wählen Sportjournalisten Dempseys Fall in einer Umfrage der Associated Press zum dramatischsten Sportmoment der vergangenen 50 Jahre.

Als in New York der Gong zur zweiten Runde ertönt, hat sich Dempsey in der einminütigen Pause auf dem Schemel gut erholt. Der Weltmeister greift an, setzt Firpo mit kurzen, wuchtigen Haken zu. Einmal schafft es der Stier noch auf die Beine, nach dem neunten Niederschlag bleibt er liegen.

Ein Jahr nach der Nacht von New York pinselte George Bellows sein berühmtes Gemälde auf die Leinwand. Dem Künstler gefiel das Schauspiel so gut, dass er sich (ganz links mit Glatze) selbst darauf verewigte.

Jack Dempsey kletterte nach der legendären Schlacht gegen Angel Luis Firpo drei Jahre lang zu keinem Preiskampf um seine WM-Krone in den Ring. Am 23. September 1926 traf er schließlich auf seinen Landsmann Gene Tunney. Der war kein Stier, sondern ein meisterhafter Techniker - und beendete mit einem eindeutigen Punktsieg Dempseys Herrschaft.

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